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 zuletzt bearbeitet: Sat, 22 Jun 2019 11:21:30 +0200
philosophie@labonneheure.ch
[...] Baumann [verwendet] Flanieren und Zappen beinahe identisch. Sie sollen die postmoderne Ungebundenheit und Unverbindlichkeit zur Sprache bringen: "Die ultimative Freiheit steht under Bildschirmregie, wird in Gesellschaft von Oberflächen gelebt und heisst zapping" (Zygmunt Baumann: Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen, Hamburg 1997, S. 153). Der hier zugrundeliegende Freiheitsbegriff ist sehr problematisch. Frei-sein heisst nicht einfach Ungebunden- und Unverbindlich-Sein. Frei machen nicht Entbindungen und Entbettungen, sondern Einbindungen und Einbettungen. Die totale Beziehungslosigkeit wirkt beängstigend und beunruhigend. Die indogermanischen Wurzel fri, worauf Wendungen wie frei, Friede und Freud zurückgehen, bedeutet "lieben". So bedeutet "frei" ursprünglich "zu den Freunden oder Liebenden gehörend". Man fühlt sich frei gerade in der Beziehung von Liebe und Freundschaft. Nicht Bindungslosigkeit, sondern Bindung macht einen frei. Die Freiheit ist ein Beziehungswort par excellence. Ohne Halt gibt es auch keine Freiheit.
Aufgrund des fehlenden Haltes faßt das Leben heute nicht leicht Tritt. Die temporale Zerstreuung bringt es aus dem Gleichgewicht. Es schwirrt. Es existieren keine stabilen sozialen Rhythmen und Takte mehr, die den individuellen Zeithaushalt entlasten würden. Nicht jeder vermag seine Zeit selbständig zu definieren. Die zunehmende Pluralität der Zeitläufe überfordert und überreizt den Einzelnen. Die fehlenden temporalen Vorgaben führen nicht zu einem Zuwachs an Freiheit, sondern zu einer Orientierungslosigkeit.

In Byung-Chul Han - Duft der Zeit, S. 38

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Das Marxsche Subjekt bleibt aufgrund seiner Herkunft ein Arbeitssubjekt. Selbst wenn es nicht arbeitet, ist es nicht zu einer ganz anderen Tätigkeit fähig. Ausserhalb der Arbeit bleibt es höchstens ein Konsument. Arbeiter und Konsument sind miteinander verwandt. Sie verbrauchen die Zeit. Sie haben keinen Zugang zur vita contemplativa.

In Byung-Chul Han - Duft der Zeit, S. 99

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Die vita contemplativa ist eine Praxis der Dauer. Sie stiftet eine andere Zeit, indem sie die Zeit der Arbeit unterbricht.

In Byung-Chul Han - Duft der Zeit, S. 94

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Erst im Zuge der Reformation kommt der Arbeit eine Bedeutung zu, die über die Lebensnotwendigkeit weit hinausgeht.

In Byung-Chul Han - Duft der Zeit, S. 90

 zuletzt bearbeitet: Sat, 04 May 2019 19:16:44 +0200
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Die Arbeit ist letzten Endes auf die Herrschaft und Einverleibung aus. Sie vernichtet die Distanz zu den Dingen. Der kontemplative Blick dagegen schont sie. Er belässt sie in ihrem Eigenraum oder Eigenglanz. Er ist eine Praxis der Freundlichkeit.

In Byung-Chul Han - Duft der Zeit, S. 79

Der kontemplative Blick ist insofern asketisch, als er auf die Beseitigung der Distanz, auf die Einverleibung verzichtet. In diesem Punkt ist Adorno Heidegger benachbart: "Der lange, kontemplative Blick […] ist immer der, in dem der Drang zum Objekt gebrochen, reflektiert ist. Gewaltlose Betrachtung, von der alles Glück der Wahrheit kommt, ist gebunden daran, dass der Betrachtende nicht das Objekt sich einverleibt."

In Byung-Chul Han - Duft der Zeit, S. 80

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Wahrheit und Erkenntnis haben inzwischen einen archaischen Klang. Sie beruhen auf Dauer. Die Wahrheit hat zu währen. Sie verblasst aber angesichts einer immer kürzer werdenden Gegenwart. Und die Erkenntnis verdankt sich einer temporalen Versammlung, die Vergangenheit und Zukunft in die Gegenwart einspannt.

In Byung-Chul Han - Duft der Zeit, S. 44

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Aufgrund der Entzeitlichung findet kein narrativer Fortschritt statt. Der Erzähler hält sich bei jedem kleinsten und unbedeutendsten Ereignis lange auf, weil er nicht vermag, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Narration setzt Unterscheidung und Selektion voraus.  

In Byung-Chul Han - Duft der Zeit, S. 32f

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Zwischen Punkten klafft notwendig eine Leere, ein leeres Intervall, in dem sich nichts ereignet, keine Sensation stattfindet. Die mythische und die geschichtliche Zeit lassen dagegen keine Leere aufkommen, denn das Bild und die Linie haben kein Intervall. [...] Die Punkt-Zeit lässt kein kontemplatives Verweilen zu.

In Byung-Chul Han - Duft der Zeit, S. 23f

 zuletzt bearbeitet: Tue, 30 Apr 2019 01:06:58 +0200
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Aufgrund ihrer Zerstreuung entfaltet die Zeit keine ordnende Kraft mehr. So entstehen keine prägenden oder entscheidenden Einschnitte im Leben. Die Lebenszeit wird nicht mehr durch Abschnitte, Abschlüsse, Schwellen und Übergänge gegliedert. Vielmehr eilt man von einer Gegenwart zur anderen. So altert man, ohne alt zu werden.

In Byung-Chul Han - Duft der Zeit, S. 17

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Der Mythos wich einst der Geschichte. Das statische Bild wurde zur fortlaufenden Linie. Geschichte weicht nun Informationen. Diese besitzen keine narrative Länge oder Weite. Sie sind weder zentriert noch gerichtet. Sie stürzen gleichsam auf uns ein. Die Geschichte lichtet, selektiert, kanalisiert das Gewirr von Ereignissen, zwingt diese auf eine narrativ-lineare Bahn. Verschwindet diese, so kommt es zu einer Wucherung von Informationen und Ereignissen, die richtungslos schwirren. Die Informationen duften nicht.

In Byung-Chul Han - Duft der Zeit, S. 23