D'autres ont cherché soit à renforcer, soit à dispercer un état d'âme, une passion, à la modifier, l'attiser, l'oublier ou l'apaiser.
Al-Fārābī abū n-Naṣr Muḥammad ibn Muḥammad ibn Tarhan ibn Uzlaġ, Kitābu l-mūsīqī al-kabīr = Grand traité de la musique, Paris : Geuthner, 1930, p. 18Oft weiss ich gar nicht, was mich innerlich beschäftigt. Meine Gefühle, meinen seelischen Zustand in Worte zu fassen fällt mir schwer. «Gefühle» und «seelischer Zustand» — meinen sie am Ende das Gleiche? Den Gefühlen in Musik und Tanz Raum zu geben, damit sie sich entfalten oder auch beruhigen können — das hingegen fällt mir leicht. Ist das so, weil der Gesang dem Schrei und dem Lachen, der Tanz und das Schlagen oder Streichen eines Instruments dem Zucken, Aufstampfen und Kuscheln / Streicheln so nah sind?
Ein seelischer Zustand, der mir vertraut ist, ist Ausgelassenheit. Ausgelassenheit, Wildheit und Ungehemmtheit — auch wieder miteinander verbandelte Begriffe? Das Gefühl, «von den Lüften getragen» zu werden. Keine Grenzen zu spüren. Wildheit: Die Grenzen erst gar nicht zu kennen. Die Unmittelbarkeit der Gefühle. Die Ungehemmtheit, die eine Freiheit ist. Von einer solchen Ungehemmtheit geht eine Anziehungskraft aus, wie von Normen auch. Die Anziehungskraft des Ungehemmten ist eine nostalgische: Ich werde an die Zeit vor der Kultur erinnert, an den tierischen, urtümlichen Zustand. Löwentanz, Oni. Ungehemmtheit = Macht im Sinne von «mächtig» = Natur = Dämon = Gottheit. Ungehemmte Naturkräfte und Fluss der Dinge. Bergstürze, Überschwemmungen, Erdbeben. Niemand kann sich ihnen in den Weg stellen. Ungehemmtes Spielen der Trommeln, der Santur, ungehemmter Tanz. Ein Zustand, der in mir höchste Gefühle auslöst. Es fliesst nur noch, es geschieht, mit meinem Körper als Medium, ohne mein Zutun. Ohne meine Kontrolle oder Steuerung. Trance-ähnlich.
Das Loslassen, das mich treiben Lassen erfordert Vertrauen — Schutz und Stütze. Den Schutz liefert die Privatheit oder — wenn in Gesellschaft — die Normen der Riten, die durch Einweihung geschaffene «Privatheit» der Riten. Das Loslassen alles Stützenden macht mich verletzlich und anfällig fürs «Verlorengehen». Während eine Wand schützen kann, kann sie nicht stützen. Deshalb empfinde ich bei Riten einen nahen Menschenkreis unterstützender als eine frontale Anordnung (Bühne vor Publikum). Das Zurückkommen / Ankommen scheint einfacher, da der Kreis von allen Seiten ruft. Die Unterstützung erfolgt in Form von menschlicher Energie. Je näher der Kreis, desto intensiver fliesst die Energie. In Jurten und kleinen Zirkuszelten und Amphitheatern kann die Energie fliessen. Sie kann auch vom äusseren Menschenring zum nächst inneren Ring und so weiter bis ins Zentrum weitergegeben werden, wenn alle Menschen nahe zueinander sind.
Einweihung — das Sensibilisieren der Menschenansammlung auf den verletzlichen, undefinierten, mehrdeutigen Zustand und das Einfordern von Normen, die dem Schutz und Stützen der Verletzlichen dienen — um so eine «Gruppe» zu werden. Einweihung: Die Zutrittserlaubnis zum Ritus. Ein Eintrittspreis, ein Sicherheitscheck können sie nicht ersetzen. Alle Anwesenden sind in die Fragilität und die schützenden Normen eingeweiht: Darin unterscheidet sich der Ritus vom Fest. Alle Anwesenden haben auch einen räumlichen Übergang passiert: einen Stein, ein Tor, sie sind über eine Schwelle getreten, haben sich unter einem Balken oder Vorhang hinweg gebückt, haben über einen Fluss gesetzt, sind an Bord oder an Land gegangen, haben einen Wagen oder Pferd bestiegen.
Mit der entsprechenden Sorgfalt werden Jamsessions und künstlerische Inszenierungen (Konzerte, Tanzaufführungen) zu Riten.
Je sensibler ein gemeinschaftlicher Brauch auf Einweihung, Normen, Schutz und Stütze ist, desto ritueller wird er. So sind viele
matsuri die Durchführung eines langen, riesigen Ritus, der aber auch ausgelassenere, unsensiblere Phasen umfasst, die inklusiver, festlicher, normenfreier und toleranter gegenüber «vom Himmel fallenden» Ereignissen und nicht Eingeweihten sind. Für mich zeichnen sich
matsuri gerade dadurch aus, dass in ihnen Rituelles und Festliches Platz finden, beidem in einer Selbstverständlichkeit Bedeutung und Anerkennung geschenkt wird.
Wir alle empfinden Dankbarkeit; ein Eins Sein mit der Welt; lassen alte Welten, unsere eigenen Vergangenheiten, uns bedeutsame Personen, Orte und Gegenstände zurück, halten das haltlose Schweben im Unbekannten aus, um danach wieder irgendwo anzuknüpfen, uns anzugliedern. Niemand lebt ohne Empfindungen oder ohne Übergänge durchzumachen. Riten bieten den Rahmen, dies mit Einbezug der Mitmenschen zu tun. Ich fühle, dass Riten uns allen helfen können, seelisch «ganz» und «auf dem Weg» zu bleiben.
Riten normieren auch Verhalten und machen Gesetze überflüssig — gute Voraussetzungen fürs Harmonieren innerhalb einer Trommelgruppe und fürs gemeinsame Wachsen als Gruppe: Wir wollen uns aufs Wachsen (Weiterentwickeln) konzentrieren können, inhaltliche und formale Dispute wären dem eher hinderlich. Wir integrieren Rituale (= Elemente aus Riten) ins
tr'ensemble-Training, um mit dem Rituellen vertraut zu bleiben: Wir spielen den rhythmischen Gruss 인사굿
insagut; wir beginnen und beenden jedes Training mit einem gemeinsamen Gruss. Einige Teilnehmende machen von sich aus ein Ritual beim Betreten und Verlassen des Trainingsraums. Unser Schnupperkurs ist insofern rituell gestaltet, als er bewusst in einer Angliederungsphase ihren Abschluss findet, in dem die Schnuppernden und die bestehenden Teilnehmenden sich kennenlernen.
Dem Thema Riten genügend Aufmerksamkeit zu schenken verdanke ich dem professionellen Umfeld meiner früheren Tätigkeit als Kleinkinderzieher, in welchem Einleben nach dem Berliner Modell und Abschieds- und Einschlafrituale selbstverständlich sind. Dass Trommeln, Gesang und Tanz bei vielen Riten in verschiedenen Kulturen eine zentrale Rolle zu spielen scheinen, hat meine Aufmerksamkeit fürs Thema zusätzlich geschürt.
Wenn der Seelenzustand verstärkt wird, spricht am Ende die Seele durch den Tanz, durch den Gesang, durch die Musik. Endlos-Wiederholungen und Improvisation sind Wege dahin. Ich würde nicht so weit gehen, uns rituell körperlichen Schmerz zuzufügen. Durchs Loslassen werde ich zumindest genug verletzlich. Loslassen ist sehr ansteckend. Ich vertraue der Kraft des Ansteckens. Ob wir aus einem Ritus geläutert wieder herauskommen, hängt von der Fähigkeit, als Gruppe zu harmonieren, die Energie zu bündeln, und von unserer Demut und Bereitschaft gegenüber dem Loslassen ab.
miyake-jima kamitsuki mikoshi daiko ist eine der Tradtitionen, bei der ich das so empfinde.
CC BY-NC-ND 4.0 韓 山 San Han
Roh-Textfragment für «Zusammen trommeln»
Photo: James Alexander Jack, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
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