Certains ont chanté pour se procurer des sensations agréables, du repos, oublier la fatigue, la notion du temps.
Al-Fārābī abū n-Naṣr Muḥammad ibn Muḥammad ibn Tarhan ibn Uzlaġ, Kitābu l-mūsīqī al-kabīr = Grand traité de la musique, Paris : Geuthner, 1930, p. 18Unsere Nachbarn haben neu ein Kätzchen. Während ich am Gartentisch sitze, schiesst es aus seinem Versteck hervor, tollt im Garten umher, um sodann unter dem Tisch zwischen meinen Füssen einem Stoffmäuschen nachzujagen, dem es Leben einhaucht, indem es ihm mit den Pfoten Schläge versetzt, scheinbar absichtlich dieses in jene schwer erreichbaren Ecken und Spalten treibend, von wo es dieses nur wieder hervorholen kann, indem es seine Vorderbeine unter dem gebogenen Tischbein durchstrecken muss. Sein Versteck hat das Kätzchen übrigens ausgerechnet im Topf gewählt, in welchem letzen Winter fast der Papyrus erfroren ist, und wo die dörren Stängel und Blätter so schön laut rascheln, wenn es mit den Pfoten draufhaut.
Ich bin perplex ob diesem endlosen Vergnügen. Wenn ich das Kätzchen fragen könnte, warum es das mache, was würde es antworten? «Weil es mir Spass macht?» «Weil dieser Trieb Teil meiner genetischen Veranlagung ist?» «Einfach (so)?» Es würde wohl nichts dazu sagen. Genauso wie seine Artgenossen ihm diese Frage nicht stellen würden. Wäre das Kätzchen befähigt zu räsonnieren, würde das «Einfach (so)!» es wohl auf den Punkt bringen. Auf Koreanisch 그냥, ein Wort, das ich in Korea oft höre, nicht nur bei Kindern, vieleicht mein Lieblingswort aus meinem koreanischen Wortschatz.
Überall auf der Welt war es bei Bauern üblich, nach getaner Feldarbeit zusammen zu tanzen, zu singen oder gar zu musizieren, oft noch auf dem Feld selbst oder auf dem Heimweg vom Feld. In einigen Gegenden trifft man diesen Brauch heute noch an, wenn nicht auf dem Feld, dann in einer Ecke mit Bänken und Korbsesseln des gemeinen Aussenraums der Siedlung oder in einer Beiz.
Feierabend — ich glaube, dies ist das Lieblingswort meiner koreanischen Partnerin aus dem deutschen Wortschatz.
Wie jedes Bauernkind weiss auch ich, dass das Feldbestellen tagsüber eine Fügung ist. Aber ebenso ist es der Abend. Und dieser Wechsel ist, was einen in freudige Stimmung versetzt, den es zu feiern gilt. Ich denke, das hat nicht sonderlich geändert mit dem Aufkommen von Handwerks- und gar Dienstleistungsberufen. Die Beraubung mit Gewalt dieser Freude durch Knechtschaft, Ausbeutung, Versklavung ist, da dem Menschen das Mensch-Sein genommen wird, unverzeilich. Zum Glück ist der menschliche Wille unbeugsam: Sogar Sklaven haben gesungen, um ihre Müdigkeit zu vergessen.
Unser
tr'ensemble-Training scheint eine Fortführung der Feier-Tradition zu sein. Wir haben uns im Training zu dieser Idee ausgetauscht. Tatsächlich scheint das Feierabend-Gefühl das verbindende Element des Trainings zu sein. Es ist schnell klar geworden, dass auch gar kein weiteres Zutun erforderlich ist. Wir alle sind urvertraut mit diesem Gefühl, nach getaner Arbeit einfach das Leben geniessen und Sachen zu machen, die uns das Mühsal vergessen machen. Niemand fragt uns, warum wir beim tr'ensemble-Training mitmachen. Die treffendste Antwort wäre wohl «Einfach (so)!». Wie das Kätzchen geniessen wir es, Muskeln und Stimmbänder zu stimulieren, Rotationsachsen zu erproben, Drehmomente wirken, Frequenzen erklingen zu lassen. Eine Kompensation der Vernachlässigung durch den Mühsalstrott.
Linguistischer Abstecher Nr. 3 (Die deutsche Sprache bietet sich regelrecht zum Philosophieren an): Sind am Ende «Tanzen», «Singen» und «Musikinstrumente Spielen» einfach gleichbedeutend mit «Spielen»? Oder woher kommt dieses
Spielen des Instruments? Dito:
Jouer un instrument;
play an instrument.
Komplett gleichgestellt dem Tanzen, Singen und Musizieren sind Essen und Trinken genauso vom Feiern nicht weg denkbar, genauso Sachen, die uns Menschen zum Menschen machen. Feiern gleich Mensch-Sein.
Anders als Feierabende, die im quotidianen und auch allwöchentlichen Zyklus des Da-Seins «einfach so» wiederkehren wie das zu Bett gehen, haben
Feste eine längere, mehrtägige bis mehrwöchige Vorlaufzeit. Diese längere Vorlaufzeit lässt einen wie von einer längeren Anlaufstrecke in eine höhere Klimax springen. Das annuell Zyklische des Jahrzeitenjahrs bietet sich richtig an, Anhaltspunkte dafür bereitzustellen.
Ein Fest ist dann ein Fest, wenn alle «beteiligt» sind, wenn alle Anwesenden das Fest zu einem Fest «machen». Darin unterscheidet es sich von einem Konsum-Anlass. Etwas Konsumieren ist nicht Beteiligung genug. Beteiligung als Austausch von Gefühlen und als Engagement
für die Festgesellschaft. Das beginnt schon mit der Vorlaufzeit. Engagement bedeutet für mich, uns gemeinsam auf das Zelebrationsobjekt zu einigen (in Ostasien sind dies traditionell die Herbst-Erntezeit, das Neujahr und das Vorfahren-Vermächtnis; für Letzteres siehe
Obon), uns insbesondere emotional damit auseinanderzusetzen, unseren persönlichen Beitrag zur passenden Stimmung zu finden und ihn dann beizutragen. Als breit verankerte Tradition kommt in Mitteleuropa vielleicht die Fasnacht dem am nächsten, wenn die Teilnehmer die Kostüme selber nähen und in Cliquen und Guggen mitspielen, oder die «Tanzfeste», die in der Schweiz bis rund 1800 so geklingt haben mögen wie z.B. der von Tritonus eingespielte Löckler-Tanz
und deren Geist vielleicht bis in die Jugendbewegungen der 1980er und 90er Jahre überlebt hat. Nicht konsumorientierte Volksfeste neueren Datums manifestieren sich manchmal als Quartierfeste, Kiezfeste und Feste von besetzten Häusern und Wagenplätzen — ich bin dankbar, echte Volksfeste auch in Mitteleuropa erlebt zu haben, nicht nur in Ostasien und Italien. Die Grösse spielt doch keine Rolle.
Wenn wir beispielsweise
shinbayashi aus dem
nakayama-daiko-Brauch spielen, finde ich es primordial, dass wir die Fest-Assoziation in uns erzeugen, uns vergegenwärtigen, aus welcher Motivation der Brauch entstanden ist (vermutlich als Feier einer guten Ernte oder als Gebet für Regen), wie die Leute über die Generationen hinweg diesen Brauch gefeiert haben, und uns dann in eine passende Fest-Stimmung versetzen, ja sie heraufbeschwören.
Pungmul,
Eisa und
Wadaiko sind unteilbar mit Festen verbunden, die von der gesamten lokalen Bevölkerung mitgetragen werden. Ich fühle eine starke Gewissheit in mir, dass die passendste Weise, diese Traditionen mit unserer tr'ensemble-Gruppe hier in Europa leben zu können, ist, wenn wir als Gruppe unser eigenes jährliches Fest organisieren. Dadurch können wir auf natürliche Weise unser Umfeld zu einem «Beteiligt-Sein» anstecken. Zusammen draussen essen, trinken, tanzen, singen und musizieren, alle willkommen heissen: Ein Fest verträgt sich nicht mit Ausschluss, so scheint es mir. Wir haben in der Gruppe besprochen, was wir im tr'ensemble-Fest zelebrieren möchten: Ein Jahr gemeinsames Wachsen als Gruppe, gemeinsames Teilen von Schweiss und Gefühlen, gemeinsames voneinander Lernen.
Dass das Feiern auf diese Weise vonstattengeht und dass es schon seit Urgedenken so war, dass die Menschheit zum Mensch-Sein das Feiern braucht, das lese ich aus der zum Kapitelbeginn dargestellte Vasenmalerei aus der Endzeit des Königreichs Elam (620-580 v. Chr.), welchem Eurasien, Nord- und Ostafrika zu einem erheblichen Teil ihr musikalisches Vermächtnis zu verdanken haben. Die Menschheit vor ihrem Selbstverlust zu bewahren: Der Daseinszweck von tr'ensemble. «Einfach (so)!»
Wir freuen uns, dieses Jahr am Kulturfest Perspektivenwechsel am 18. September in der St.-Johannsvorstadt von Basel zu spielen, welches zum ursprünglich geplanten Zeitpunkt unseres eigenen Fests stattfindet. Dass es deshalb dieses Jahr kein von uns selbst organisiertes tr'ensemble-Fest geben wird, hinterlässt in mir aber auch ein Gefühl, dem Lauf der Dinge etwas ganz Essentielles vorzuenthalten. Nächstes Jahr machen wir auf jeden Fall wieder unser Fest.
CC BY-NC-ND 4.0 韓 山 San Han
Roh-Textfragment für «Zusammen trommeln»
Quelle Bild: Bo Lawergren, “MUSIC HISTORY i. Pre-Islamic Iran,” Encyclopædia Iranica, online edition, 2016, verfügbar unter http://www.iranicaonline.org/articles/music-history-i-pre-islamic-iran (Zugriff am 19. Mai 2016).
Weiteführende Literatur: Tritonus, Alte Volksmusik in der Schweiz, verfügbar unter https://www.tritonus.ch/Seite7.htm (Zugriff am 20. Juli 2021)
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